Historie
1996 hat unsere Familie mit dem Wiederaufbau eines, im Jahr 1816 erbauten, Vierseitenhofes im Weidengrund, begonnen. Seither leben wir mit unseren Kindern im denkmalgeschützten Haupthaus. Das Gebäudeensemble und das zugehörige Land im Weidengrund, sind heute Veranstaltungsort für Theater, Vorträge, Konzerte und bieten Raum für Feste und Feiern, Workshops, Seminare, Cirkusprojekte sowie Kinder- und Jugendfreizeiten.
Der Hof ca. 2010
​
Erich Neuß
Wanderungen durch die Grafschaft Mansfeld / Saalisches Mansfeld
Erstauflage 1938
Lochwitz und sein versunkenes Naturwunder
Auf dem Lochwitzer Wege, der am südlichen Talhang über der Schlenze sacht ansteigt, oder auf schmalem Fußsteige neben der rasch fließenden Schlenze gelangt der Wanderer in kurzer Zeit nach dem kleinen Lochwitz. Wählt er die feste Straße, so lohnt ein verweilen auf dem höchsten Punkte zur Umschau.
Ein freundliches Bild: der feldbunt gemusterte Goldberg jenseits der Schlenz, das Dörfchen und die Schlüfte und Gründe, die zu den Höhen führen, im zarten Nebeldampf des frühen Sommertages. Durch die stille kommt nur das knarren eines Wagens, doch die feierliche Unbeweglichkeit der Dinge und der Luft dämpft auch dieses Geräusch. Auf den Gräsern liegt der Tau wie ein feiner Reif, doch fließt er eben zu funkelnden Tropfen zusammen. Das Tal badet im Lichte, der „Kessel“, der „Weidengrund“, der „Bretzgrund“(slaw.: breza= Birke), die Ackergebreiten des „Löfers“ hinter dem Dorfe und wie die Flurstücke alle heißen, die wir von hier erblicken. Alte und junge Zeichen des Bergbaus, der Paulschacht mit seiner mächtigen silbergrauen Halde im Westen, auf der Höhe des Lochwitzer Lindenberges ein stattlicher Bohrturm der Mansfeld AG. Die leise schwingenden Seile zeigen an, das bereits gearbeitet wird, daß mit Drehung und Fall die Riesenlast des Gestänges und des Bohrmeißels sich in das Gestein des Untergrundes frißt. Erlen und Weiden säumen das Wässerchen im Feldtale und verbinden sichtbar Heiligenthal mit Lochwitz, das ganz eingebettet ist in das Grün der Gärten und der Gehölze am Mühlgehöft.
In einiger Entfernung erscheinen die von der Sonne hell beschienen, aber immer noch pastellfarbig verschleierten Würfelchen der Häuser von Zabenstedt. Ein Kuckuck ruft in der Nähe und im Dorfe krähen wie zur Antwort die Hähne. Ein gelber Wippsterz trippelt über den Weg. Der Himmel ist fast wolkenlos, nur im Westen verblassen zarte Streifen, aus denen sich dann und wann ein bald zerfließender Wolkenball löst. Lochwitz hat mit Lauchstädt fast seinen Namen gemein; denn das sorbische loch und luch entspricht der alt – hochdeutschen lacha, der Lache, dem sumpfigen Gewässer. Von dieser Flurbeschaffenheit sind nur Wiesenstreifen ober,- und unterhalb des Dorfes übrig geblieben, das sonst ein stiller Bauernort ist; 1785 3 Voll- und 2 Halbspänner, 4 große und 9 kleine Kossaten, insgesamt 96 Einwohner, 1885 dagegen 145, heute 160 Einwohner.
Man spürt im Wachstum des Ortes die Nähe der großen Schächte. Doch blieb es bäuerlicher als Heiligenthal, dessen Wirtschaften bis auf drei verschwunden sind. Idyllisch ist seine Lage in dem freundlichen Tal, zu dessen natürlicher Anmut nun neue Reize kommen. Da ist die mitten im Dorfe, aber erhöht gelegene St. Pankrazkirche, die ohne Besonderheiten doch um ihres „modernen“ Turmes willen unsere Aufmerksamkeit erregt. Dieser erinnert mit seinen Blindfenstern und halbkreisförmigen Schalllöchern, etwa um 1830 entstanden, an die Schinkelschen Stil-Einflüsse, wie sie in hervorragender und eigenartiger Weise die Gotteshäuser von Harkerode und Möllendorf im Gebirgskreis zeigen.
Da ist, am ganz von üppigem Buschwerk, feuchten Wiesen und fruchtbaren Gärten umgeben unteren Ausgang des Dorfes die Lochwitzer Mühle, eines der schönsten Gehöfte im Schlenzetal in seiner Geschlossenheit und Traulichkeit. Über der weinlaubumrankten Torfahrt lesen wir: J.A. ST. 1819
Das ist: Johann Albert Steckelberg. – Darüber das bekannte Müllerwahrzeichen. Heute ist sie im Besitz der Familie Straube. Die Steckelbergs sind eine alteingesessene Mansfelder Familie, die in den Dörfern des Schlenzetals noch heute verbreitet ist. Ein Eislebener Steckelberg teufte 1863 einen kleinen Kohlenschacht oberhalb Lochwitz ab, wo es jetzt noch die „Schächte“ heißt. Wir kommen nun in den Teil des Schlenzetals, der die „Aue“ genannt wird. Freilich, die alte Aue, ein sehenswürdiges Stück der Grafschaft, ist es nicht mehr. Ein friedevolles Tal ist es heute, friedevoll, weil neue schmale Fußpfade zwischen Hang und Wiese es erschließen und weil der alte Verkehr nach den Seemühlen nicht mehr ist; denn auch diese sind verschwunden. Felder, Obstkabeln, Gehölze, akazienbewachsene Wasserrisse, kleine Tannenschonungen und zu beiden Seiten des Baches die Wiesen geben dem lieblichen Bilde Farbe, Zeichnung und überraschenden Wechsel. Es war hier gut wohnen, wenn nicht das Wasser zu viel gewesen und zu wenig geworden wäre. Die Hochfluten der Gewitteregen brachten die große Seemühle, das versiegen der hochberühmten Seelöcher die kleine Seemühle zum Erliegen. Weder von den Mühlen noch von den Seelöchern ist mehr als eine Spur vorhanden. Ihre Stätten sind Acker und Wiese. Dennoch soll uns unser Weg durch die Aue, durch das Tal unter dem bewölbten Rücken des Seeberges nach Zabenstedt führen.
An einer Lößhöhle im Steilhang des Löserfeldes rasten wir zwischen Wiese und Busch. Hier stand die Kleine Seemühle, die Höhle ist ihr „alter Keller“. Man fragt sich, wie die Schlenze auf so geringe Entfernung drei Mühlen, die Lochwitzer mitgerechnet, treiben konnte. Nun, die Schlenze war, bevor die Schächte und Stollen sich weiter ins Innere der Mansfelder Zechsteinmulde fraßen, wasserreicher, und die Kleine Seemühle bezog ihre Wasserkraft aus den Seelöchern. Der aufmerksame Wanderer bemerkt in der Wiese, etwa dort, wo der Feldweg aus dem Talchen „Kohlgrund“ an den Bach stößt, moch jetzt drei leichte Dellen in den Wiesen. Einst waren dies tiefe, mit Salzwasser gefüllte und Salzwasser entlassende Erdfälle.Die großen Geognosten, Naturbeobachter und Bergleute haben vor 125 Jahren die Seelöcher aufgesucht und beschrieben, als die Wissenschaft von dem Erdaufbau unter dem Einfluß der Romantik, der Naturphilosophie und Freibergs hoher Bergschule und ihres trefflichen Lehrers Abraham Gottlob Werner einen herrlichen Aufschwung nahm. Spangenberg erwähnt die Seelöcher noch nicht. Doch Johann Jokkusch rechnet sie 1730 in seinem „Versuch zur Natur-Historie der Grafschaft Mansfeld“ zu den großen Sehenswürdigkeiten.
Das waren sie in der Tat, und das Unerklärliche ihrer Erscheinung wie ihres Verhaltens erregte die Vorstellungskraft der Bewohner und umwob die Naturerscheinung mit Wundermären und seltsamen Erklärungsversuchen. Wir folgen, um uns ein Bild vom Gewesenen zu machen, der Beschreibung, die uns der Berghauptmann Johann Freiesleben in seinen „Geognostischen Arbeiten“ hinterlassen hat. Das war ein Mann, wie es sie seinesgleichen nicht mehr gibt: in jeder Seite seiner umfänglichen Werke und Abhandlungen, in jeder Beschreibung seiner unzähligen Grubenfahrten und geognostischen Wanderungen lebt die fast erschauernde Ehrfurcht vor dem lebendigen Walten göttlicher Weltkräfte, schlägt ein starkes Gefühl pantheistischen Verbundenseins mit der unendlichen Allseitigkeit der Natur, wie sie sich jenen alten Bergleuten und Geognosten offenbarte. Die drei Lochwitzer Seelöcher liegen nach Freiesleben, am „mittagmorgendlichen Ende eines Kalkschlottenzuges“, der bei Wimmelburg beginnt und in einiger Entfernung von dem Ausgehendem des Kupferschieferflözes im Schlenzetal endet. Es waren tiefe Schlünde im Gipsgebirge, die steilen Wände, von ziemlich regelmäßiger Form, die einen unterirdischen Zudrang von Wasser hatten. Die beiden größten, etwa 3 bis 4 Lachter voneinander entfernt und ungefähr 80 bis 90 Lachter unterhalb der oberen Seemühle, waren beide in ziemlich gleichem Höhenstand mit Wasser erfüllt. Von unterschiedlichen Ausmessungen sind zwei Messungen näher bekannt geworden, die eine im September 1805 vom sächsischen Geschworenen Barth, die zweite im Juli 1807 unter der Leitung des westfälischen Obergeschworenen Dölz zu Gerbstedt. Das größere Seeloch erlotete man 1805 mit 126, 1807 mit 120, das kleiner mit 56 bzw. 33 1/3 rheinische Fuß Tiefe (1 Fuß= 0,31 m). „Ohne perennierende Wasserzugänge über Tage“ schrieb Freiesleben, „ haben die Seelöcher doch einen beständigen Abfluß, der bei dem oberen stark genug ist, um eine in der Nähe angelegte Wassermühle, die mit zwei Mahlgängen versehene Obere Seemühle, für beständig mit Ausschlagwasser zu versorgen; das kleinere westliche hat einen schwächeren Wasserausdruck, der auch von Zeit zu Zeit ganz wegbleibt. Das Wasser in beiden ist übrigens salzig, im östlichen jedoch mehr als im westlichen. Alles dies bestätigt hinlänglich die Vermutung, daß die Wasser dieser Seelöcher aus den etagenweise mit einander in Verbindung stehenden Schlottenzügen ausgedrückt werden, die das Gipsgebirge von der helbraischen Gegend bis gegen die Saale hin durchzuziehen“.
Das große Seeloch hatte 400 Schritte im Umfang. Nie fror sein Wasser zu; im Herbst und Winter dampfte es stark. In den Jahren 1717 und 1722 haben Erdbewegungen, Einstürze oder plötzliche Wassereinbrüche in den unterirdischen Reichen das Wasser der Seelöcher wie siedend aufwallen lassen. Seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begann das Wasser in den Seelöchern stetig zu sinken, und es war wohl nicht der oft gefabelte Zusammenhang mit dem Salzigen See, dessen Schicksal sie vorweg nahmen, sondern der in einiger Nähe durchs Gebirge streichende Haupt,- und Schlüsselstollen, der die Seelöcher verschwinden ließ. Der Bauer Hertel als Besitzer des Ackers hat sie dann zugefüllt. Die Kleine oder Obere Seemühle stand nun stille und wurde abgebrochen. Die Große Seemühle dauerte noch fast ein Menschenalter; dann kam die Unglücksnacht des 14. Juli1910. Gehöft und Werk wurden unter Schlamm begraben, die Mauern unterspült, die Gärten verwüstet – so gab man sie auf und brach sie ab. Der Zabenstedter Kirchturm ist mit ihren Steinen ausgebessert. Feldgärten bezeichnen die Stätte der Großen Seemühle.
So ist es einsam in diesem Winkel des Schlenzetales geworden, und nur der wissende Wanderer wendet hierher seine Schritte und genießt die zärtliche Schönheit der Landschaft. Freilich erscheint hier das Schlenzetal nicht eben bedeutend, doch ändert sich das Bild sofort, wenn man die Höhe des Seeberges besteigt und nun bemerkt, wie von allen Seiten die Hänge und Breiten, die Nebenthäler und Gründe dem Haupttale förmlich zustürzen, so der ausgedehnte flache Buckel des Gerbstedter Berges, der das Tal der Pollebener Schlenze von dem der Gerbstedter vor der Vereinigung beider scheidet. Oben auf dem Seeberge liegt ein gewaltiger Findling, fast manneshoch, von der plumpen Form eines Mehlsacks. Man zweifelt, das der Zufall ihn gerade hier ablud, denn weit und breit ist seinesgleichen nicht zu sehen. So ruht er, unerschütterlich und unzerstörbar auf dem Blachfeld, weithin sichtbar, in seltsamer Beziehungslosigkeit zu seiner Umgebung; ob er einen Namen hat, konnten wir nicht erfahren, aber das schier Unbegreifliche seines Daseins erweckte in uns die gleichen ehrfürchtigen Empfindungen, die ihn und viele andere im Lande einst zu Sinnbildern höherer Kräfte und Mächte hatten werden lassen. Am Rande einer Tannenschonung, die würzigen Duft ausströmte im warmen Licht des Vormittags, steigen wir wieder ins Tal hinab und gehen über den Fleck der Großen Seemühle und unter Baumkabeln nach Zabenstedt, in dessen Mitte die beiden Schlenzen zusammenfließen. Sobald wir den Damm der Zweigbahn Gerbstedt-Friedeburg durchschritten haben, sind wir in dem Ort, dem der mansfeldische Bauer und mansfeldische Bergmann das Gepräge geben.